Ein Kommentar von Robert Steinadler.
Dezentralisierung ist ein Buzzword. Wenn es um Kryptowährungen geht, ist sie ein Begriff, der inflationär verwendet wird. Sie hat zwar entscheidende Vorteile, aber da es selten darum geht zu verstehen, was das eigentlich bedeutet, wenn eine Technologie auf Dezentralisierung setzt, verliert man schnell den Überblick.
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Jedes Blockchain-Projekt schreibt sich Dezentralität in die Marketing Slides und in Regel vermeidet man zu erklären, was man in dem jeweils vorliegenden Fall unter Dezentralität und Dezentralisierung versteht. Wenn es gut läuft, dann gibt es jemanden in der jeweiligen Community, der die eigenen Ansätze erläutert. Das ist für Interessenten tatsächlich zum Nachteil und man bekommt den Eindruck, dass in vielen Fällen bewusst verschleiert werden soll, worum es konkret geht.
Dezentralisierung am Beispiel von Bitcoin
Was ist Dezentralisierung? Wenn man die Frage in Bezug auf Kryptowährungen stellt, dann lohnt es sich, zunächst einen Blick auf Bitcoin zu werfen. Bitcoin ist die erste Kryptowährung überhaupt und Dezentralisierung bedeutet hier, dass keine Entität die Kontrolle über das Netzwerk erlangen kann. Das Netzwerk steht auf zwei Säulen. Den einzelnen Bitcoin Nodes (sogenannte „Full Nodes“) und auf der Rechenleistung der Miner.
Einen Full Node kann im Prinzip jeder laufen lassen, die technische Hürde ist sehr gering. Dazu installiert man den Bitcoin Core Wallet und lädt die Blockchain vollständig herunter. Danach lässt man den Rechner mit dem Wallet einfach laufen und schon hat man einen Beitrag zu der Dezentralisierung von Bitcoin geleistet. Denn die vielen einzelnen Netzwerkknoten sorgen dafür, dass die Blockchain selbst an vielen verschiedenen Orten gespeichert ist und neue Transaktionen verteilt werden können.
Die Miner wiederum sorgen dafür, dass Transaktionen bestätigt werden. Dazu stellen sie Berechnungen an. Damit nicht ein Miner alleine alle Transaktionen bestätigt, nehmen weltweit viele verschiedene Rechner daran teil. Auch das ist Teil der Dezentralisierung.
Das Grundprinzip besteht also darin, dass niemand die volle Kontrolle über einen Teilbereich der Infrastruktur von Bitcoin erhält. Deshalb ist Dezentralisierung sehr wichtig. Sie sorgt mit für das Vertrauen in Bitcoin, denn sie garantiert, dass Manipulationen einzelner Akteure an der Blockchain scheitern müssen. Welche Probleme dieses System mitbringt, werden wir an einem späteren Punkt noch betrachten.
Dezentralisierung als Buzzword
Es gibt den Begriff der Dezentralisierung auch in einem anderen Kontext. Nämlich da, wo Projekte den Eindruck erwecken wollen, dass sie sich der oben geschilderten Vorteile ebenfalls bedienen. Das ist aber längst nicht der Fall. Nicht alles, was ein Netzwerk bildet oder auf die Cloud setzt, sichert die eigene Blockchain durch Dezentralisierung.
Wie die beiden angedeuteten Beispiele zeigen, ist schon der Aufbau moderner IT-Infrastruktur dezentral gestaltet. Der springende Punkt ist also, wer die Kontrolle über die besagte Infrastruktur hat. Wenn es sich also um blockchainbasierte Technologie handelt, dann verweist der Begriff der Dezentralisierung in aller Regel auf einen bestimmten Sicherheitsaspekt. Daher das die Infrastruktur nicht von einer einzigen Entität dominiert wird und somit nicht von einer solchen manipuliert werden kann. Aber warum das Ganze als ein Buzzword abstempeln?
DEX oder CEX?
Dezentralisierung spielt auch bei Exchanges eine immer größere Rolle. Eine der ältesten DEX ist Etherdelta. Im Prinzip sorgt diese DEX dafür, dass jeder Nutzer seine Kryptowährung auf seinen Private Keys hält. Niemand bekommt die Kontrolle über die Einlagen außer der Nutzer selbst. Das ist auch sehr gut, denn alleine im ersten Quartal 2019 wurde gehackt, was das Zeug hielt. Ungeheure Summen gingen verloren. Von den Hacks der Jahre davor ganz zu schweigen.
Auf Etherdelta – wie auf den meisten anderen DEX auch – wird der Handel auf der Blockchain abgewickelt. Daher einigen sich Käufer und Verkäufer über den Handel und ihr Agreement wird auf der Blockchain verwirklicht. Etherdelta realisiert das über Smartcontracts auf der Ethereum-Blockchain. Da die Infrastruktur von Ethereum als dezentral gilt und Etherdelta die Einlagen nicht zentralisiert, ist der Begriff DEX vollkommen angebracht.
Es gibt aber auch sehr umstrittene Modelle einer DEX. Das Paradebeispiel ist die DEX von Binance. Der Handel läuft zwar auf der Blockchain von Binance Coin und die Nutzer halten ihre Private Keys selbst, dennoch ist das keine gänzlich dezentrale Lösung. Denn das Unternehmen betreibt bestimmte Netzwerkknoten, die Stimmrechte besitzen. Alle anderen Betreiber eines Knotens haben diese Stimmrechte nicht. So ist zwar dafür gesorgt, dass die Blockchain nicht zentral gespeichert wird und alle tragen dazu bei, doch die Entscheidungsgewalt ist zentralisiert.
In der Praxis bedeutet das, dass der Handel unterbunden werden könnte oder man die Kundeneinlagen einfrieren kann. Man hält zwar seinen Private Key, doch wenn das Unternehmen beschließt das bestimmte Transaktionen nicht mehr vom Netzwerk akzeptiert werden, dann kann man seine Einlagen nicht auslösen. Durch das Stimmrecht erlangt Binance die absolute Kontrolle über das Netzwerk, es gibt also gar keinen echten Konsens.
Damit ist Binance DEX ein Hybride. Man dezentralisiert bis zu einem gewissen Maß, und zwar bis zu dem Punkt, an dem es Vorteile verschafft. Doch das Heft wird niemals ganz aus der Hand gegeben.
Das ist auch verständlich, denn als Unternehmen muss sich Binance mitunter einer ganz anderen Verantwortung stellen. Was wäre, wenn ein Account Gelder aus illegalen Geschäften über die DEX waschen würde? Wäre das Unternehmen in der Verantwortung? Staatlich Stellen könnten verlangen, dass die Firma dagegen vorgeht. Außerdem wird gewährleistet, dass der Handel viel schneller ablaufen kann, als auf den meisten anderen DEX. Denn die Zentralisierung an den richtigen Stellen sorgt für niedrigere Latenzen und eine leistungsfähigere Engine.
XRP – Ein Paradebeispiel
Eine DEX ist eine sehr spezifische Anwendung von Blockchain-Technologie. Im Prinzip muss man aber gar nicht abseits der Pfade suchen, denn mit Ripple gibt es ein Projekt, das letztlich von einem Akteur kontrolliert wird. Damit ist XRP das Paradebeispiel für eine zentralisierte Kryptowährung. Dennoch, grade Ripple beharrt darauf, dass es sich um eine dezentrale Kryptowährung handelt. In einem Blogbeitrag geht der CTO sogar einen Schritt weiter und behauptet, dass XRP auf Dauer wahrscheinlich als dezentralisierter gelten wird als Bitcoin oder Ethereum.
Genügend Untersuchungen zeigen das genau Gegenteil von dem was Ripple propagiert. Die Tatsache, dass XRP zentralisiert ist, macht die Kryptowährungen nicht unbedingt schlechter. Die Transaktionen sind verdammt schnell und die Gebühren gering.
Es geht aber letztlich um die Machtstrukturen, die in einem Netzwerk herrschen. Und in diesem Punkt hat die Firma Ripple eindeutig die Hosen an.
Probleme der Konsensmechanismen
Obwohl viele Kryptowährungen eine vollständig dezentrale Struktur aufweisen, begegnen sie trotzdem spezifischen Problemen, die häufig durch die Wahl des Konsensmechanismus bestimmt sind. Wie am Beispiel von Bitcoin gezeigt werden konnte, kann im Prinzip jeder zu der Infrastruktur einen Teil beitragen, aber nicht immer zu einem gleichen Anteil. Alleine schon deshalb, weil die Startbedingungen aller Teilnehmer nicht gleich sein können.
Proof of Work
Bei „Proof of Work“ wird auf das klassische Mining gesetzt. Das wohl größte Problem für diesen Mechanismus ist die „51% Attacke“. Sollte ein einziger Miner 51% der Rechenleistung im Netzwerk stellen, dann könnte er Transaktionen manipulieren. Die Manipulation könnte soweit gehen, dass er Transaktionen generieren könnte, obwohl er gar nicht über die entsprechende Menge an Kryptowährung verfügt. Außerdem könnte er die Transaktionen anderer Nutzer verhindern, indem sie nicht bestätigt werden. Da beim Mining auch neue Coins generiert werden, könnte er auch deren Ausgabe verhindern.
„Proof of Work“ ist also stark davon abhängig, dass es genug Miner gibt und das die Mining Pools auch unabhängig operieren. Würden sie sich heimlich über Nacht zusammenschließen und abstimmen, dann wäre jeder Coin, der auf „PoW“ setzt schlagartig zentralisiert. Eine grundsätzliche Überlegung ist, dass es für alle Teilnehmer günstiger und gewinnbringender ist, wenn sie die dezentrale Struktur aufrechterhalten. Ein Angreifer müsste also schon gewaltige Mittel aufwenden, damit er wirklich die Kontrolle übernehmen kann. Unbemerkt kann er das in jedem Fall nicht tun, denn das Netzwerk und sein Verhalten lässt sich leicht überwachen.
Proof of Stake
Obgleich es bei Proof of Stake verschiedene Formen gibt, die unterschiedliche Ansätze verfolgen, teilen sie alle das gleiche Problem. Bei diesem Konsensmechanismus werden – stark vereinfacht ausgedrückt – Transaktionen dadurch bestätigt, dass Besitzer eines „Full Nodes“ für deren Gültigkeit bürgen. Dies geschieht in der Regel dadurch, dass sie einen Teil ihrer Einlage mit in den nächsten Block stecken. Dadurch wird ein Teil der Coins also gebunden, denn sie nehmen am sogenannten Staking teil. Um für diesen Prozess stimmberechtigt zu sein, muss jeder Betreiber eines Netzwerkknotens also zwingend eine Einlage leisten.
Bei den meisten Kryptowährungen, die auf klassisches PoS setzen, gibt es keine Mindesteinlage, damit man selber teilnehmen kann. Dennoch sei erwähnt, dass Mindesteinlagen durchaus ein Modell sind. Unabhängig davon werden Teilnehmer mit einer besonders hohen Einlage öfter angefragt eine Transaktion zu bestätigen und es ist auch leichter für sie. Dementsprechend erhalten sie auch häufiger eine Belohnung aus dem Staking. Mit anderen Worten, wer überproportional investiert hat, der bekommt auch die höhere Belohnung. Diese wird ähnlich wie bei einem Zinssatz pro Jahr in Prozent berechnet.
Nun könnte man dagegenhalten, dass es beim Mining – sprich PoW – ähnlich aussieht. Wer die meiste Hardware laufen hat, sprich eine höhere Rechenleistung stellt, der wird höher belohnt. Das ist zwar richtig, übersieht aber den Effekt des Zinseszinses und den Umstand, dass PoS keine hohen laufenden Kosten produziert. Würde also eine Entität 51% der jeweiligen Kryptowährung besitzen, so hätte sie automatisch die Hoheit. Es ist also davon abhängig wie liquide eine PoS Kryptowährung ist, um zu beurteilen, ob im Einzelfall eine 51% Attacke möglich ist.
Unabhängig davon, ob eine 51% Attacke möglich ist oder nicht, bleibt das Netzwerk immer von den Interessen der größten Stakeholder abhängig. Um diesem Problem zu begegnen gibt es verschiedene Variationen, beispielsweise DPoS. Hier wird abgestimmt, welcher Knoten bestimmte Aufgaben und Rechte wahrnehmen darf. Letztlich wird das Problem aber nur verlagert, denn wer viel Geld mitbringt, der kann auch auf Umwegen für seine eigenen Knoten votieren.
Fazit
Dezentralisierung ist eine der problematischsten technischen Aspekte von Kryptowährungen. Und zwar in einem positiven Sinne. Das Vertrauen in Kryptowährungen ist mit abhängig davon, wie das Problem gelöst wird. Es ist schon erstaunlich, dass genug Menschen bereit sind, blockchainbasierter Technologie zu vertrauen, obwohl sie nicht immer im eigentlichen Sinne dezentral gestaltet ist.
Angesichts der Tatsache, dass Blockchain-Technologie immer mehr Verbreitung findet, muss der Unterschied zwischen dezentralem Aufbau der Infrastruktur und der dezentralen Kontrolle darüber stärker betont werden. Es handelt sich um eine Sache, die man gar nicht stark genug betonen kann.
Es wird sehr wahrscheinlich bald einen GlobalCoin von Facebook geben und andere Unternehmen setzen ebenfalls auf Kryptowährungen oder die Blockchain. Wenn ihnen damit der große Durchbruch gelingt und die Anwender der Technologie, ihre ursprünglichsten Vorzüge aus den Augen verlieren, dann kann das schnell gefährlich werden.
Im Optimalfall dürfen Machtstrukturen und einzelne Interessen keine Rolle spielen, wenn es darum geht diese Technologie einzusetzen. Wenn dieser Gedanke verloren gehen sollte, dann hätte sich am Ende nichts verändert.