Der Ausblick auf die wirtschaftliche Entwicklung und die Erwartungshaltung, die an den Finanzmärkten derzeit eingepreist wird, könnten unterschiedlicher nicht sein. Während wichtige Aktienindizes nahe oder bereits wieder über ihren alten Hochs notieren und weiterhin klettern, signalisieren diverse zuverlässige Indikatoren schon seit längerem die Gefahr einer Rezession.
Die invertierte Zinskurve warnt seit langer Zeit
Die Zinskurve an den Anleihemärkten ist bereits seit weit über einem Jahr invertiert – dies gilt historisch gesehen als einer der zuverlässigsten Indikatoren für eine Rezession, sobald die Invertierung sich wieder aufhebt. Eine Invertierung deutet darauf hin, dass Investoren eine wirtschaftliche Abschwächung oder Rezession in der nahen Zukunft erwarten. Sie glauben, dass die Zentralbanken die Zinssätze senken werden, um die Wirtschaft anzukurbeln, was die Zinsen für zukünftige langfristige Anleihen niedriger macht als die aktuellen kurzfristigen Raten.
Frühindikatoren schlagen ebenfalls Alarm
Bezieht man weitere Konjunkturdaten mit ein, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für eine Rezession weiter. Der Leading Economic Index (LEI) der USA ist in den letzten Monaten auf Talfahrt gegangen. Der LEI ist ein Frühindikator, der aus verschiedenen Wirtschaftsdaten zusammengesetzt ist, um zukünftige Wirtschaftstrends und Wendepunkte wie Rezessionen oder Erholungen vorherzusagen.
Ein steigender LEI deutet auf Wirtschaftswachstum hin, während ein fallender LEI auf eine Abschwächung hindeutet. Bis auf den positiven Faktor steigender Aktienkurse haben alle anderen eingerechneten Faktoren in den letzten Monaten zu einem fallenden LEI beigetragen.
Abseits der Datenlage liefert auch die gefühlte Stimmung vieler Marktbeobachter keinen großen Grund zu Optimismus. Viele gehen davon aus, dass sich die geldpolitische Straffung der letzten Monate wie in vergangenen Zinserhöhungsphasen erst mit einer erheblichen Verzögerung auf die Realwirtschaft voll auswirken wird. Die höheren Zinsen in Kombination mit einer deutlichen Steigerung der Konsumentenpreise könnten noch weiteren Tribut von der Wirtschaft verlangen, so die Sorge am Markt.
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Warum steigen die Aktienmärkte dann?
Während sich Zinsänderungen auf die Realwirtschaft erst mit einiger Verzögerung auswirken, wird an den Finanzmärkten stets eine Erwartungshaltung an die Zukunft eingepreist. Deswegen hat sich im Jahr 2022 ein ausgewachsener Bärenmarkt abgespielt, der seinen Anfang bereits genommen hat, als die US-Notenbank nur angekündigt hatte, die Zinsen zu erhöhen, um die Inflation zu bekämpfen.
Mittlerweile hat sich die Erwartungshaltung des Marktes bereits wieder ins Gegenteil umgekehrt. Die Inflation befindet sich im Rückwärtsgang, da die Maßnahmen der Federal Reserve Wirkung zeigen. Wichtige Indikatoren deuten wie gezeigt auf eine Rezession hin. Nun erwartet der Markt von der Fed, dass sie die Liquiditätsbedingungen für die Wirtschaft wieder deutlich verbessert – in Form von Zinssenkungen und – sollte es nötig sein – weiteren Interventionen in Form von Quantitative Easing.
Neben dieser reinen Erwartungshaltung spielt besonders der Fakt mit in die momentane Rally hinein, dass bereits wieder Liquidität in die Märkte hinzugefügt wird. Überschüssige Geldreserven, die durch die geldpolitische Lockerung im Zuge der Pandemie von der Fed erzeugt wurden, lagen lange in der sogenannten Reverse Repo Facility (RRP) der Fed – ein geldpolitisches Instrument, um überschüssige Liquidität aus dem Bankensektor zu ziehen und die Zinsen am kurzen Ende besser zu kontrollieren. Die Schuldenaufnahmewut der US-Regierung – vor allem am kurzen Ende der Zinskurve – hat jedoch in letzter Zeit dazu geführt, dass das Geld aus diesem Topf in kurzfristig laufende Staatsanleihen und damit über Umwege in die Finanzmärkte gespült wird, da die Zinsen, die die US-Regierung zahlt, mittlerweile die Attraktivität der Zinsen im RRP übersteigt.
Kommt bald der Kipp-Punkt für die Märkte?
Die Frage ist, wie lange diese Rally an den Märkten noch weitergehen kann, obwohl eine Rezession immer wahrscheinlicher wird. Solange noch Geld im isolierten Topf des RRP vorhanden ist, welches den Schuldenhunger der US-Regierung bedienen und über Umwege in die Finanzmärkte fließen kann, gibt es weiteres Schießpulver für eine Fortsetzung der Rally. Auch die jüngsten Signale der Fed während der letzten Pressekonferenz des Jahres, nun doch bis zu drei Zinssenkungen in Aussicht zu stellen, haben die Erwartungshaltung des Marktes weiter bestärkt, dass der Geldhahn wieder aufgedreht wird. Sowohl die Liquiditätssituation als auch das Stimmungsbild stehen also – zumindest für die nächsten paar Monate – zugunsten der Rally.
Auch was das Chartbild angeht, liefern die Märkte durchaus noch Spielraum nach oben. Blickt man auf den Relative Strength Index (RSI) auf Monatssicht, zeigen die Märkte noch keine überkaufte Situation. Der RSI ist ein Index zwischen 0 und 100 und gibt Aufschluss über den Zustand der Märkte. Bei Werten von über 70 gilt ein Asset als überkauft (und signalisiert damit Abwärtspotenzial) und bei einem Wert von unter 30 als überverkauft (ein Signal für Aufwärtspotenzial).
Der S&P 500 hat mit einem RSI-Wert von derzeit ca. 60 noch einigen Spielraum nach oben. Selbes gilt auch für den Nasdaq, der jedoch mit einem Wert von 65 bereits näher am überkauften Niveau notiert. Bitcoin orientiert sich mit einem Wert von derzeit 62 näher am S&P 500 und hat damit ebenfalls noch einigen Spielraum nach oben, sollte sich die Rally Anfang 2024 fortsetzen. Bei einer ausgewachsenen Rally kann der RSI durchaus eine Zeit lang im überkauften Bereich verweilen.
Die entscheidende Frage: Wer gibt zuerst klein bei? Die Fed oder die Märkte?
Eine Rezession steht wahrscheinlich vor der Tür, die Märkte rechnen jedoch fest damit, dass die Federal Reserve einmal mehr als Retter auftreten wird. Eine Rezessionserwartung, begründet durch die geldpolitische Straffung, hat sich im Grunde bereits durch den Bärenmarkt 2022 an den Märkten abgespielt.
Derzeit kommt die Liquidität für die Rally jedoch aus einem Überbleibsel der letzten geldpolitischen Lockerung. Wenn der RRP-Topf leer ist, muss neue Liquidität kommen, um die Party am Laufen zu halten. Die entscheidende Frage ist: hält die Fed mit der Erwartungshaltung der Märkte schritt oder haben die Märkte den Anbruch des nächsten geldpolitischen Liquiditätszyklus der Zentralbanken verfrüht eingepreist?
Für ein paar Monate kann die Rally an den Aktienmärkten und auch bei Bitcoin aufgrund der beschriebenen Stützpfeiler weitergehen. Ein Allzeithoch und Kurse darüber hinaus bei Bitcoin sogar noch vor dem Halving im April sind plausibel, da charttechnisch, liquiditätstechnisch und stimmungstechnisch die Weichen gestellt sind. Das Halving- und das ETF-Narrativ liefern weiteren Rückenwind. Doch in den nächsten Monaten wird ebenfalls entscheidend, wie die Geldpolitik sich weiter entwickeln wird.
Denken Sie langfristig!
Was ist die Reverse Repo Facility der Fed, warum fließt derzeit Geld aus ihr in die Märkte und was droht, wenn dieser Geldtopf leer ist? Alle Infos erhalten Sie in der neusten Video-Ausgabe von decentralist.
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